IV.2 Funktionale und personale Interaktion

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IV.2 Funktionale und personale Interaktion

Als funktionale Interaktion soll eine Interaktion zwischen subjektsprachfähigen Systemen bezeichnet werden, bei der das Gegenüber hauptsächlich in seiner Funktion wahrgenommen wird. Das Gegenüber muß zwar als Person wahrgenommen werden, damit es überhaupt zu einer Interaktion kommen und man selbst Person sein kann, doch der Charakter der Interaktion ist eher funktional. Die Ausübung von Macht, das Handeln auf dem Markt, jegliches Spielen sind Beispiele für funktionale Interaktionen.
Als personale Interaktion soll die Interaktion zwischen subjektsprachfähigen Systemen bezeichnet werden, die sich selbst und den Interaktionspartner hauptsächlich als Person wahrnehmen. Auch hier sage ich einschränkend “hauptsächlich”, da eine Interaktion ohne funktionales Element nicht als Interaktion verständlich ist. Die Tätigkeiten des Beleidigens und Lobens, des Einsichtzeigens, des Würdebewahrens, des Übelnehmens sind Beispiele für personale Interaktionen.
Eine Interaktion von subjektsprachfähigen Wesen – oder wie wir im weiteren einfach sagen wollen: eine Interaktion – hat notwendig immer beide Elemente: die Person, damit es eine Interaktion von Subjekten ist, und die Funktion, damit es überhaupt ein Handeln ist. Ein rein funktionales Handeln wäre kein Handeln von Personen und damit – in dem Verständnis von Sprache als Subjektsprache – überhaupt kein Handeln; und ein rein personales Handeln wäre ebenso kein Handeln. Die Begriffe “Person”, “Handeln”, “Funktion” und “Sprechen” sind begrifflich verknüpft.

IV.2.1 Peter Strawson: Interpersonale Beziehungen

Auf eine Art, die meiner ähnlich ist, unterscheidet Peter Strawson die menschlichen Verhaltensweisen in seinem Text “Freiheit und Übelnehmen”; auch wenn seine Herangehensweise an das Thema “Freiheit” eine ganz andere ist. Er sagt, daß Menschen interpersonale Beziehungen haben, in denen sie anderen gegenüber Haltungen einnehmen, die zwischen teilnehmend reaktiv und objektiv wechseln können. 1 Wenn sie die objektive Haltung einnehmen, nehmen sie die anderen Personen nicht mehr als Personen wahr, sondern als Objekte einer sozialen Taktik. Ich würde sagen: in ihrer Funktion. Strawson schreibt:

“Wenn Ihre Haltung gegenüber jemandem völlig objektiv ist, dann können Sie sich nicht mit ihm streiten, obwohl Sie mit ihm kämpfen können, und Sie können nicht vernünftig mit ihm argumentieren, obwohl Sie mit ihm sprechen oder sogar verhandeln können. Sie können höchstens vorgeben, mit ihm zu streiten oder vernünftig zu argumentieren.” 2

Um dieser Behauptung zustimmen zu können, muß man die Vorannahme machen, daß zwischen vorsubjektsprachlicher und subjektsprachlicher Interaktion und – innerhalb letzterer – zwischen funktionaler und personaler Interaktion unterschieden wird. Täte man dies nicht, müßte man sich in diesem Zitat an dem Wort “völlig” stören. Denn wenn meine Haltung wirklich völlig objektiv ist, dann ist der andere für mich so etwas wie ein Vorgang in der unbelebten Natur, z.B. ein Fels, der auf mich zurollt. In dem Fall kann ich nicht mal gegen den anderen kämpfen – zumindest dann nicht, wenn zu einem Kampf zwei Kämpfer gehören -, geschweige denn mit ihm verhandeln. Wenn die Haltung etwas weniger objektiv ist, dann betrachte ich den anderen als Tier. Dann mag ich zwar kämpfen, kann aber immer noch nicht verhandeln. Dazu muß ich ihn als sprechendes Wesen anerkennen. Erst wenn ich ihn darüber hinaus in seiner Eigenschaft als Person anspreche, kann ich mit ihm auch vernünftig argumentieren. Es muß hier also schon mitgedacht werden, daß es sich um eine Interaktion von Subjekten handelt, nur so ist die Verwendung des Wortes “völlig” zu verstehen. Wenn man jemandem in diesem Sinne völlig objektiv gegenübersteht, betrachtet man ihn als Wanton.
Mit Strawson können wir sehen, daß man nicht entweder rein funktional oder rein personal handelt, sondern daß es gleitende Übergänge zwischen eher personalen und eher funktionalen Handlungen gibt: Ich kann meinen Zeitgenossen mit mehr oder weniger Objektivität gegenübertreten. Am Beispiel des Übelnehmens zeigt Strawson, daß wir abhängig von unserer Bewertung des Vorgangs verschiedene Haltungen dem Interaktionspartner gegenüber einzunehmen bereit sind. Strawson sieht zwei unterschiedliche Arten der Einschätzung, die ein Übelnehmen – beispielsweise nach einer erfolgten Verletzung – mildern oder ganz verhindern: die Einschätzung der Situation und die Einschätzung der Person.
Wenn uns jemand auf den Fuß tritt, empfinden wir das als unangenehm und nehmen es dem Treter übel, wenn nicht etwas Entlastendes zutage tritt. Wir bewerten den Vorgang, indem wir überlegen, ob hinter dem Tritt eine Verletzungsabsicht stand, und wenn dem so war, ob der Täter voll dafür verantwortlich gemacht werden kann. Die Einschätzung der Situation kann ergeben, daß wir in dem Tritt keine Kränkung sehen, weil der Übeltäter aus Versehen getreten hat oder er zur Tat gezwungen wurde oder aus einem anderen Grund keine andere Alternative hatte. Die Einschätzung der Person kann ergeben, daß wir keine oder nur eine abgeschwächte Kränkung erfahren, weil wir annehmen, daß der Täter nicht zurechnungsfähig ist; möglicherweise weil er betrunken oder hypnotisiert ist oder aus einem inneren Zwang heraus handelt oder geisteskrank oder ein Kind ist. Dazu Strawson:

“Verteidigungen wie diese tun etwas, was Verteidigungen meiner ersten allgemeinen Gruppe nicht tun: sie laden uns ein, unsere gewöhnlichen reaktiven Haltungen gegenüber dem Handelnden außer Kraft zu setzen, entweder zum Zeitpunkt seiner Handlung oder zu jeder Zeit. […] Sie laden uns dazu ein, den Handelnden selbst in einem Licht anzusehen, das verschieden ist von dem Licht, in dem wir normalerweise jemanden ansehen sollten, der so gehandelt hat wie er.” 3

Die Kränkung wird somit nicht oder nur abgeschwächt erfahren, wenn die Tat entweder keine Tat ist (sondern ein Geschehen oder Unfall) oder keine absichtlich verletzende Tat oder zumindest keine Tat, die der Täter als Person zu verantworten hat, oder wenn der Täter keine zurechnungsfähige Person ist. In den ersten drei Fällen bleibt die Haltung reaktiv teilnehmend, im letzten Fall nimmt der Geschädigte eine objektive Haltung ein, wobei der Grad der Objektivität vom Grad der angenommenen Unzurechnungsfähigkeit des Täters abhängt. Doch Strawson stellt noch etwas anderes fest: Wir werden nicht nur “eingeladen” zu solchen Haltungen, wir können sie auch vorsätzlich einnehmen. Er schreibt:

“Die objektive Haltung ist nicht nur etwas, wozu wir auf natürliche Weise in Fällen wie diesen tendieren, wo teilnehmende Haltungen zum Teil oder ganz durch Abnormalitäten oder Unreife verhindert werden. Sie ist auch etwas, das auch in anderen Fällen verfügbar ist. Wir sehen mit einem objektiven Auge auf das zwanghafte Verhalten des Neurotikers oder das ermüdende Verhalten eines sehr jungen Kindes und denken in Ausdrücken der Behandlung oder Erziehung. Aber wir können manchmal mit etwas wie demselben Auge auf das Verhalten des Normalen und Reifen sehen. Wir haben dieses Hilfsmittel und können es manchmal benutzen: als einen Ort des Rückzugs – sozusagen – von den Spannungen der Beteiligung oder als Hilfe zum Höflichsein oder einfach aus intellektueller Neugierde.” 4

Oder wir nehmen die objektive Haltung ein, um uns vor Verletzungen unserer Person zu schützen: Ein Wanton kann mich nicht beleidigen. Je objektiver die Haltung ist, desto funktionaler ist die Interaktion, desto größer ist der emotionale Abstand zwischen mir und dem Interaktionspartner; je teilnehmender, desto personaler, desto größer die Nähe. Der Wanton kann nicht beleidigen und nicht beleidigt werden – er ist ein rein funktional Interagierender. Doch ein rein funktional Interagierender muß kein Wanton sein, wie wir gleich sehen werden. Vorher möchte ich noch anhand eines Beispiels verdeutlichen, worin genau die Unterschiede der verschiedenen Interaktionsarten bestehen, und den wichtigen Punkt betonen, daß die Interaktionsart immer von unserer Interpretation der Situation abhängt. 5

IV.2.2 Das Hupen-Beispiel

Stellen wir uns vor, wir laufen über eine Straße und eine Autohupe ertönt. Das Hupen hat entweder nichts mit unserem Gang über die Straße zu tun – der Fahrer des Wagens hat sie aus Versehen ausgelöst -, oder es muß als Zeichen gedeutet werden. Wenn wir es als Zeichen deuten, versuchen wir, seine Bedeutung herauszufinden, indem wir die Situation analysieren. Ist es ein “Aus der Bahn!”, ein “Ich werde Dir beibringen, wie man sich im Straßenverkehr verhält!” oder vielleicht ein “Hallo, Nachbar!”?
Im ersten Fall liegt eine funktionale Interaktion im alten, vorsubjektsprachlichen Sinne vor. Der Ausruf “Aus der Bahn!” ist lediglich eine subjektsprachliche Umschreibung des nicht-subjektsprachlichen Zeichens, das in dieselbe Kategorie gehört wie beispielsweise das Fauchen eines Löwen, der einen Feind verscheuchen will. Es kann einem Menschen (als Nicht-Person) genauso gelten wie einem Tier, aber keinem Karton. Bei dieser Interaktion ist keine der beiden Parteien eine Person. Menschen, die nur auf diese Weise kommunizieren, sind nicht einmal Wantons, sie sind Tiere. 6
Als Personen können wir das Hupsignal auch personal deuten. Im zweiten Fall halten wir das Verhalten des Fahrers für ein funktionales Verhalten im neuen, subjektsprachlichen Sinne. Wir sind als Person angesprochen in unserer Funktion als Fußgänger, der erzogen werden muß. Es ließe sich denken, daß der Fahrer noch zusätzlich Gas gegeben hat, um uns auf bedrohliche Weise deutlich zu machen, daß man nicht über Rot gehen darf. Es kommt zu einer echten Kommunikation im Sinne Paul Grice’, die gekennzeichnet ist von einer doppelten geistigen Verschränkung der Handelnden. 7 In der einfachen Verschränkung denkt der Autofahrer nach dem Hupvorgang, daß wir denken, daß er denkt, daß wir aus dem Weg gehen sollen. In der doppelten Verschränkung überlegt der Autofahrer, was wir wohl denken, was er über uns denkt. Wir glauben, daß er einen Gedanken über uns hat, und diese Tatsache macht er zum Gegenstand seiner Überlegungen. Dies ist charakteristisch für die Interaktion zwischen Personen. Der Hupende denkt, daß er Grün hat. Er denkt, daß wir denken, daß wir Rot haben. Er denkt, daß wir denken, daß er denkt, daß er Grün hat. Er denkt, daß wir denken, daß er denkt, daß wir denken, daß wir Rot haben. Nur durch diese doppelte Verschränkung kann das Hupen interpretiert werden als eine Erziehungsmaßnahme, als “Ich weiß, daß Du weißt, und Du weißt, daß ich weiß – wir wissen also beide -, daß man nicht über Rot gehen darf, also halte Dich gefälligst daran!”
Im dritten Fall handelt es sich um eine Begrüßung, um eine Geste der Freundlichkeit. Wir werden als Personen (ohne weiteren Zusatz) angesprochen. Es liegt ebenfalls eine doppelte geistige Verschränkung vor. Doch im Unterschied zum vorherigen Fall soll uns das Hupen nicht zu irgendetwas bewegen, sondern das Zeichen steht gewissermaßen einfach im Raum und besagt “Ich bin Mitglied des Personenclubs und ich erkenne Dich auch als Mitglied an.”
Auch im Falle einer Beleidigung soll uns das Zeichen nicht zu etwas bewegen. Das kann man daran sehen, daß wir eine Beleidigung nicht mehr als solche verstehen, wenn wir erkennen, daß hinter dem Ausspruch oder der Geste lediglich die Absicht steht, uns dazu zu bringen, eine bestimmte Tat auszuführen. Denken wir an einen Fußballspieler, der seinen Gegenspieler fortwährend beschimpft, um ihn zu einer Tätlichkeit zu verleiten, aufgrund der er vom Platz gestellt werden würde. Die Beleidigung ist dann eine funktionale und keine personale Handlung und verfehlt ihr Ziel, wenn der Adressat dies durchschaut. Er wird nicht beleidigt sein, sondern vielmehr über den Versuch des Absenders lächeln. Die Herabsetzung gelingt nur, wenn wir sie auf uns als Person beziehen und von ihr eine Beschädigung unserer Person erfahren, wenn wir sie in unsere Geschichte über uns einbauen. Hinter einer scheinbar personalen Interaktion kann also auch eine Strategie stehen, so daß der funktionale Anteil höher sein kann, als es zunächst scheint. Auch der Nachbar grüßt unter Umständen nur deswegen so freundlich, weil er sich davon die Einladung zum nächsten Gartenfest verspricht. Die Interpretation der Interaktion als funktional ist aber parasitär gegenüber der Interpretation der Interaktion als personal. 8

IV.2.3 Charles Taylor: Starke und schwache Wertungen

Ich habe behauptet, daß die Interaktionen zwischen Personen funktional oder personal sein müssen und daß der rein funktional Handelnde, der Wanton, die oberflächlichste Form einer Person darstellt. Dementsprechend sind Personen umso “tiefer”, je größer der personale Anteil an ihrem Handeln ist. Diese Überlegung möchte ich mit Hilfe von Charles Taylors Vorschlag, zwischen starken und schwachen Wertungen, die eine Person ihren Wünschen gegenüber vornimmt, zu unterscheiden, noch genauer untersuchen. Ich werde im folgenden auf seine Argumentation eingehen, die er in seinem Aufsatz “Was ist menschliches Handeln?” 9 dargelegt hat.
Taylor stimmt Frankfurt darin zu, daß Personen sich von Nicht-Personen dadurch unterscheiden, daß sie neben Wünschen erster Stufe auch Wünsche zweiter Stufe haben und daß diese Fähigkeit verknüpft ist mit der Fähigkeit zur Selbstbewertung. Doch er glaubt, daß man, um besser verstehen zu können, was eine Person ist, eine Unterscheidung zwischen zwei Bewertungsarten von Wünschen treffen muß. Er schreibt:

“So könnte jemand zwei erwünschte Handlungen abwägen, um die günstigere zu ermit- teln, um herauszufinden, wie unterschiedliche Wünsche miteinander verträglich zu ma- chen sind (zum Beispiel könnte sich jemand entschließen, das Essen zurückzustellen, obgleich er hungrig ist, weil er später sowohl essen als auch schwimmen gehen könnte) oder wie er insgesamt die größte Befriedigung erzielen könnte. Oder er könnte darüber nachsinnen, welches von zwei gewünschten Objekten ihn am meisten anzieht, so wie man eine Konditoreiauslage studiert, um zu überlegen, ob man einen Eclair oder ein Blätterteigstückchen nehmen will. Was jedoch in den genannten Fällen fehlt, ist eine qualitative Bewertung meiner Wünsche, die beispielsweise dann vorliegt, wenn ich es unterlasse, aus einem gegebenen Motiv heraus zu handeln – etwa aus einem Groll heraus oder aus Neid -, weil ich dieses Motiv für niedrig und unwürdig erachte. In einem solchen Falle werden unsere Wünsche nach Kategorien eingeteilt wie höher oder niedriger, tugendhaft oder lasterhaft, mehr oder weniger befriedigend, mehr oder weniger verfeinert, tief oder oberflächlich, edel oder unwürdig. […] Der Unterschied könnte intuitiv wie folgt beschrieben werden. Im ersten Falle, den wir als schwache Wertung bezeichnen könnten, beschäftigen wir uns mit den Ergebnissen; im zweiten Falle einer starken Wertung befassen wir uns mit der Beschaffenheit unserer Motivation.” 10

Das bedeutet, daß jemand, der in diesem Sinne schwach wertet, jemand ist, der kalkuliert, der Alternativen abwägt, der seine Wünsche betrachtet und versucht herauszufinden, welcher der größte Wunsch ist und wie man möglichst viele Wünsche unter einen Hut bringt, so daß größtmögliche Befriedigung erreicht wird. Taylor nennt eine Person, die hauptsächlich auf diese Weise ihre Wünsche bewertet, einen “Utilitaristen”. Dieser ist für ihn in seiner Extremform ein “unglaublich oberflächlicher Charakter” 11, da das bloß abwägende Subjekt zwar über Überlegung, Wertung und Willen verfügt. “Aber ihm fehlt im Gegensatz zum stark wertenden Subjekt etwas anderes, das wir oft durch die Metapher der ‘Tiefe’ umschreiben.” 12
Eine “tiefe” Person verfügt, wie Taylor sich ausdrückt, über eine “Sprache kontrastiver Charakterisierung”. Er stellt fest, daß beim nur abwägenden Subjekt eine Unartikulierbarkeit bezüglich des Vorrangs von A gegenüber B vorliegt. Es kann nur auf sein Gefühl verweisen, daß es die eine Alternative der anderen vorzieht. Dagegen betrachtet

“[d]as stark wertende Subjekt […] seine Alternativen im Lichte einer reicheren Sprache. Das Erwünschte ist für es nicht nur durch das definiert, wonach es strebt, oder durch das, was es erstrebt plus einer Kalkulation der Folgen, es ist zugleich definiert durch eine qualitative Charakterisierung von Wünschen als höher oder niedriger, als edel oder gemein usw. Nachdenken besteht dort, wo es sich um mehr handelt als um die Kalkulation von Folgen, nicht darin, die Entscheidung zu registrieren, daß Alternative A für mich attraktiver ist oder mich stärker anzieht als Alternative B. Vielmehr ist die höhere Erwünschtheit von A gegenüber B etwas, das ich artikulieren kann, wenn ich als stark wertendes Subjekt nachdenke. Ich verfüge über ein Wertungsvokabular.” 13

Ein Utilitarist muß kein Wanton sein, denn er mag sich oft Gedanken über seine Wünsche machen, dennoch ist er eine “flache” Person, da er nur schwach wertet. Dies bedeutet, daß er sich überlegt, wie er handeln soll, so daß er möglichst viele und möglichst die starken Wünsche befriedigen kann. Eine Handlung, die aus solch einer Überlegung folgt, ist in meiner Terminologie eine funktionale Handlung, da der Handelnde sich selbst und die anderen nicht als Personen wahrnimmt. Die Geschichte, die das Selbst ist, spielt bei der Entscheidung, welchem Wunsch nachgegeben werden soll, keine Rolle. Erst die starke Wertung nimmt auf sie Rücksicht. Der stark Wertende stellt sich die Frage, wie er ist und wie er sein möchte, wie seine Geschichte lauten soll. Deswegen kann man ihn auch als personal Interagierenden bezeichnen oder als “tiefe” Person, da er nicht nur Person qua Sprachfähigkeit ist, sondern eine Person, die sich über ihr Personsein, d.h. ihre Überzeugungen, ihre Lebensweise, ihre Natur Gedanken macht und diesen Gedanken Einfluß auf Entscheidungen verschafft; also eine Person, die ihre Geschichte selber aktiv mitformt.
Eine tiefe Person hat ein anderes, reicheres Vokabular, ein besseres Werkzeug, als eine oberflächliche Person, um sich und ihre Gefühle zu beschreiben. Dadurch ist es ihr möglich, ihre Gefühle in eine klarere Form zu bringen und zu intensivieren.

-> IV.3

Notes:

  1. Er unterscheidet noch eine dritte mögliche Haltung: die stellvertretend reaktive Haltung. Ich glaube, daß diese Haltung, die für unsere moralischen Urteile sorgt, bei mir je nach der Sichtweise, ob solche Urteile normativ oder deskriptiv sind, der funktionalen oder der personalen Interaktion zuzuordnen ist, werde das aber hier nicht weiter ausführen.
  2. Strawson (1978) S. 211.
  3. Strawson (1978) S. 210.
  4. Strawson (1978) S. 212. Kursiv im Original.
  5. Jedes subjektsprachliche Zeichen ist ja nur eines in einem Sprachspiel, und ob wir dabei das richtige Sprachspiel spielen, ist manchmal Glückssache. Oft müssen wir im Nachhinein feststellen, daß wir die Situation anders eingeschätzt haben als der Kommunikationspartner, so daß es zu Mißverständnissen gekommen ist. Aber daß es zu Mißverständnissen kommen kann, heißt auch, daß Kommunikation im Normalfall funktioniert.
  6. Natürlich kann man sich darüber streiten, ob man beispielsweise Säuglinge, die ja in diese Kategorie fallen, zu den Tieren rechnen will. Man könnte sich darauf einigen, sie als “potentielle Personen” zu bezeichnen, doch unter den hier ausschlaggebenden Kriterien müssen sie auf jeden Fall zu den Nicht-Personen gezählt werden.
  7. Vgl. Grice (1979).
  8. Diese Behauptung werde ich weiter unten begründen.
  9. Taylor (1992b).
  10. Taylor (1992b) S. 10/11.
  11. Taylor (1992b) S. 25.
  12. Taylor (1992b) S. 21.
  13. Taylor (1992b) S. 21.