IV. DER BEGRIFF DER PERSON

<- III.3

IV. DER BEGRIFF DER PERSON

IV.1 Subjektsprachliche und vorsubjektsprachliche Interaktion

IV.1.1 Personenstatus als Zuschreibung

Ein Bewußtsein von sich selbst zu haben bedeutet, daß man fähig ist, über sich zu reflektieren, daß man sich selbst zum Thema werden kann. Man könnte auch sagen: daß man über sich selbst eine Geschichte erzählen kann. Und es bedeutet, daß man andere als von sich getrennte Selbste – als Subjekte – wahrnimmt, über die man ebenfalls Geschichten erzählen kann. Diese Formulierungen könnten irreführend klingen, deswegen sei betont: Wir dürfen uns das Selbst nicht wie einen Stab und die Geschichten, die wir uns über das Selbst erzählen, wie Zuckerwatte außen herum vorstellen, sondern das Selbst sind die Geschichten, ist die Zuckerwatte; der Stab existiert für uns nicht als Sagbares, als etwas, das kommuniziert werden kann, da er eine sprachliche Leerstelle ist. Das Selbst entsteht in der Reflexion; zuallererst im Erlernen unserer Muttersprache durch Abrichtung und Nachahmung.
Uns werden als Kind Eigenschaften zugeschrieben, d.h., es werden Geschichten über uns erzählt, die wir nacherzählen und mit deren Adressaten wir uns identifizieren. Wenn das Kind schreit, weil es sich unwohl fühlt, kommt die Mutter und vermutet: “Du hast wohl Hunger?” Dies ist eine Zuschreibung, die das Kind irgendwann über- nimmt, vielleicht zunächst in der dritten Person – “Baby hat Hunger” -, um sich schließlich mit der hungerhabenden Partei – “Ich habe Hunger” – zu identifizieren. Eine Identifikation hat natürlich auch einen starken Erlebenseffekt. Man fühlt das Zugeschriebene zu sich gehörig.
Ich möchte nun behaupten, daß der Status “Person” etwas ist, das man verleiht, wenn man auf bestimmte Weise mit einem Objekt interagieren will, das man durch Zuschreibungen zu einem Subjekt macht. Jemand als Person zu sehen heißt, seine Phantasie zu nutzen und eine Geschichte zu erzählen; eine Geschichte, die ständig neu erzählt und abgewandelt wird, die in zweifacher Hinsicht unfix ist. Zum einen wird sie in der Zeit ständig verändert, zum anderen wird sie von jeder Person – die eigene eingeschlossen – anders erzählt. Der Inhalt der Erzählung bestimmt jeweils die Art und Weise, wie man sich der anderen Person gegenüber verhält. Meine Geschichte über mich und meine Geschichte über meinen Gesprächspartner haben Einfluß auf mein Verhalten und damit Einfluß auf die Geschichten, die sich mein Gegenüber über mich und sich erzählt und umgekehrt. 1
Dabei ist nicht die biologische Beschaffenheit des betreffenden Objekts ausschlaggebend, ob wir es zu einem Subjekt machen, sondern zuallererst unsere Phantasie, die natürlich durch das Aussehen und das Verhalten des Objekts und seine Lebensum- stände gefüttert wird, und unser Wunsch zu interagieren. Man könnte sagen, daß manche Objekte durch eine Art Vertrauensvorschuß für uns von vornherein als Personen ausgemacht sind: Wir halten die meisten Menschen für potentielle Interaktionspartner auf personalem Niveau. Treten wir dann mit ihnen in Kontakt, kann es allerdings dazu führen, daß ihr Personenstatus in unseren Augen zerbröckelt und sich möglicherweise – im Extremfall – völlig auflöst.
Denken wir uns einen Menschen, dessen schwere Gehirnverletzung uns unbekannt und von außen nicht erkennbar ist. Wir versuchen, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Er reagiert auf das Ansprechen und bringt Geräusche hervor. Falls wir die Geräusche als Worte verstehen, versuchen wir sie in einen Zusammenhang mit dem von uns Gesagten zu bringen. Sollte uns das nicht gelingen, werden wir zunächst glauben, daß er uns falsch verstanden hat oder vielleicht einen Witz machen möchte. Wir halten möglichst lange an unserer Geschichte, die den anderen als vollständige, tiefe Person beschreibt, fest. Erscheint seine Antwort auf unser Nachfragen wiederum sinnlos, müssen wir uns entscheiden, welche Geschichte wir uns über ihn erzählen wollen, ob wir ihn für ignorant oder dumm halten wollen. Je mehr Anzeichen dafür sprechen, daß es mit seinen geistigen Fähigkeiten nicht sehr weit her ist, desto oberflächlicher wird er in unseren Augen als Person. Doch erst, wenn wir überzeugt sind, daß er sprachunfähig ist, daß er kein Selbstbild mehr hat, hören wir auf, ihn für eine Person zu erachten. Dann können wir nur noch funktional mit ihm interagieren.
Umgekehrt kann es sein, daß wir von jemandem gehört haben, er sei so stark geistig behindert, daß es unmöglich ist, mit ihm in irgendeiner Form zu kommunizieren, so daß wir ihn bei unserem ersten Treffen zunächst nicht als Person wahrnehmen. Wenn wir ihn ansprechen, personalisieren wir ihn zwar, doch nur in dem Sinne, in dem wir auch Hunde oder Säuglinge personalisieren, auf die wir einreden. Reagiert der Angesprochene völlig unerwartet auf unsere Kontaktaufnahme in einer Weise, die darauf schließen läßt, daß er unsere Worte verstanden hat, werden wir sofort unser Bild von ihm revidieren.
Wenn eine Person eine Geschichte ist, die ich zu einem Objekt erzähle, dann kann ich grundsätzlich alles, sogar Nichtmaterielles, zu einer Person machen. Im Spiel mit Puppen, im liebevollen Umgang mit dem eigenen Auto, im Gespräch mit meinem Freund, dem Baum, personalisiere ich Gegenstände meiner Umwelt, um in nicht-funktionaler Weise mit ihnen zu interagieren. Solange dies spielerisch geschieht, sozusagen in einer Tun-als-ob-Manier, ist dieser Vorgang unbedenklich. Erst wenn ich etwas in diese Beziehung investiere oder von dieser Beziehung abhängig mache, d.h., wenn aus dem Spiel Ernst wird, werde ich zu einem pathologischen Fall. So geschieht es beispielsweise Nathanael in E.T.A. Hoffmanns Geschichte “Der Sandmann”. Er verliebt sich in Olimpia – in eine Maschine, die er für eine junge Frau hält. Er personalisiert das Objekt und, so könnte man auch sagen, riskiert etwas dafür. Sich zu verlieben heißt für ihn, sein Wohlergehen ein Stück weit in die Hände eines anderen zu geben. Nathanael wird zu einem pathologischen Fall, weil er seine Geschichte ernst nimmt und bereit ist, dafür etwas zu investieren.
Der Wahnsinn lauert in zweifacher Hinsicht: Entweder Nathanael erkennt seinen Irrtum, dann findet er sich vor dem Abgrund seiner Fehlinvestition wieder – ein Grauen, das einen als Person zerstören kann -, oder er muß immer weiter investieren, immer kompliziertere Geschichten zu Olimpia erzählen, so daß ihm sein Irrtum nie auffällt. Er wird verrückt. Er spielt nicht mehr die Sprachspiele der anderen (was die einzigen Sprachspiele sind), so daß er in letzter Konsequenz nicht mehr sprechen kann, da seine Äußerungen keine Bedeutung mehr haben. Die Gemeinschaft erklärt ihn in der Folge für irre und schließt ihn aus dem “Club der Personen” aus. 2
Was wäre aber, wenn die anderen ebenso über Olimpia redeten wie Nathanael – nicht im Spaß, sondern im dem Sinne, daß sie etwas dafür aufs Spiel setzten? 3 Dann wäre Olimpia kein lebloses Objekt, sondern eine beseelte Person. Und den Einwand des Konstrukteurs, Olimpia sei doch nur eine Maschine, würde man mit einem Achselzucken beantworten, denn der Personenstatus ist eine Zuschreibung, die aufgrund von Verhaltenskriterien erfolgt, er ist Teil einer hermeneutischen und keiner mechanistischen Geschichte, d.h., nicht-menschliche Wesen, z.B. Maschinen, können, insofern sie sprachfähig sind, Personen sein. “Unser Begriff von uns selbst als Personen”, schreibt Harry Frankfurt, “darf […] nicht als Begriff von notwendig artspezifischen Attributen verstanden werden. Es ist denkbar, daß Mitglieder noch zu entdeckender oder auch bekannter nichtmenschlicher Arten Personen sein könnten.” 4
Damit Nathanaels Mitmenschen Olimpia für eine Person halten, müssen sie deren Verhalten dementsprechend interpretieren. Und die Behauptung des Konstrukteurs, Olimpia mag sich zwar verhalten wie eine Person, sei aber keine, ist dann sinnlos, weil es neben dem Verhalten kein weiteres Kriterium für die Zuschreibung des Per- sonenstatus gibt.
Wenn wir uns also einigen, über und mit Olimpia als Person zu sprechen, dann ist sie eine Person mit allen Fähigkeiten, Pflichten und Rechten einer Person. Und der Konstrukteur begeht einen Kategorienfehler, wenn er glaubt, uns durch eine physikalistische Argumentation das Gegenteil beweisen zu können. Genau wie Hirnforscher, Neurobiologen und Kognitionspsychologen, die den Geist des Menschen in seiner Physik suchen, einen Kategorienfehler begehen. Sie glauben, es gäbe außerhalb der sprachlichen Wahrheit eine Wahrheit der Welt, der wir uns durch naturwissenschaftliche Bemühungen immer weiter annähern könnten und an deren Ende die “Welt- formel” stehe. Falls der Konstrukteur Olimpias immer weiter insistierte, würde er über kurz oder lang schließlich für verrückt erklärt werden, da nun er nicht mehr die Sprachspiele der anderen spielt. 5
Frankfurt entwickelt den Personenbegriff von einer anderen Seite und fängt damit diesen wichtigen Punkt nicht ein: daß ich nämlich nicht einfach eine Person bin, sondern daß ich zu einer Person gemacht werde – durch die Mit-Sprechenden. Doch mit ihm kann noch einmal deutlich gemacht werden, worin der Unterschied zwischen Personen und Nicht-Personen liegt: in der “reflektierenden Selbstbewertung”.

IV.1.2 Harry Frankfurt: Volitionen zweiter Stufe

Frankfurt ist sich sicher, daß dasjenige, was uns als Personen auszeichnet, was uns von anderen Lebewesen wesentlich unterscheidet, in der Struktur unseres Willens verborgen liegt. Er schreibt:

“Neben wünschen und wählen und bewegt werden, dies oder das zu tun, können Menschen außerdem wünschen, bestimmte Wünsche oder Motive zu haben (oder nicht zu haben). Sie können, was ihre Vorlieben und Zwecke angeht, gern anders sein wollen, als sie sind. Viele Tiere scheinen durchaus zu, wie ich sagen will, >Wünschen erster Stufe< fähig zu sein. Kein Tier außer dem Menschen scheint dagegen die Fähigkeit zur reflektierenden Selbstbewertung zu haben, die sich in der Bildung von Wünschen zweiter Stufe ausdrückt."[ref]Frankfurt (2001h) S. 67.[/ref] Wünsche zweiter Stufe sind Wünsche, die sich auf andere Wünsche beziehen. Die Fähigkeit zur Ausbildung von Wünschen zweiter Stufe allein ist aber nicht ausreichend als Kriterium für die Unterscheidung von Personen und Nicht-Personen. Dies versucht Frankfurt deutlich zu machen, indem er die Figur des "Wanton" einführt. Ein Wanton ist ein triebhaftes Wesen; ein Wesen, das Wünsche erster Stufe hat, das aber deswegen keine Person ist, weil es unabhängig davon, ob es Wünsche zweiter Stufe hat, diese nicht zu einer Identifizierung mit seinem Willen oder Ablehnung seines Willens führen. Es steht seinem Willen gleichgültig gegenüber. Frankfurt unterscheidet daher zwischen Wünschen zweiter Stufe und Volitionen zweiter Stufe. Jemand hat eine Volition zweiter Stufe, wenn er wünscht, ein be- stimmter Wunsch möge sein Wille sein. Eine Person zeichnet sich demnach dadurch aus, daß sie ihren Willen bewertet und sich entweder mit ihm identifiziert oder sich von ihm distanziert. Frankfurt erläutert dies an einem Beispiel: "Der Süchtige wider Willen hat einander widerstreitende Wünsche der ersten Stufe: er möchte die Droge nehmen, und er möchte sich doch zugleich davon zurückhalten, sie zu nehmen. Über diese Wünsche erster Stufe hinaus hat er aber noch eine Volition zweiter Stufe. Er steht dem Widerstreit seiner Wünsche [...] nicht neutral gegenüber. Er möchte, daß der zweite Wunsch und nicht der erste sein Wille sei. Er möchte, daß sich der zweite Wunsch wirkungsvoll durchsetze und den Zweck abgebe, den er durch das, was er wirklich tut, zu erreichen sucht. Der andere Süchtige ist ein triebhaftes Wesen. Seine Handlungen spiegeln die Ökonomie seiner Wünsche der ersten Stufe, ohne daß es ihn kümmert, ob die Wünsche, die ihn zum Handeln treiben, auch Wünsche sind, durch die er sich zum Handeln veranlaßt sehen möchte. [...] Der triebhafte Süchtige kann ein Tier und deshalb unfähig sein, seinen Willen zu bedenken. Jedenfalls unterscheidet er sich, was seine triebhafte Unbekümmertheit angeht, nicht von einem Tier."[ref]Frankfurt (2001h) S. 73.[/ref] Frankfurt sagt also, der triebhaft Süchtige sei keine Person, weil er keine Volitionen zweiter Stufe habe. Ich halte das nicht für falsch, glaube aber, daß man zunächst von einer anderen Seite hinschauen sollte: Der Wanton ist deswegen keine Person, weil wir uns nichts von einer personalen Interaktion mit ihm versprechen. Wir wollen nichts investieren aus Angst, es wäre für immer verloren. Das liegt daran, daß er auf unseren Versuch, mit ihm als Person zu interagieren, entweder überhaupt nicht oder nur funktional reagiert. Ihm den Personenstatus zu nehmen heißt auch, ihn aus der Subjektsprachgemeinschaft zu verabschieden, was wiederum bedeutet, ihm die Fä- higkeit zur "reflektierenden Selbstbewertung" abzusprechen, von der Frankfurt redet. Solange der Süchtige aber noch mit uns sprechen kann und wir somit den Eindruck haben, seine Äußerungen seien sinnvoll, solange ist er auch noch eine Person, wie triebhaft er sonst sein mag. Ich glaube, Frankfurt muß gar nicht behaupten, daß es Nicht-Personen gibt, die Wünsche zweiter Stufe haben. Denn wenn der Personenstatus eine Zuschreibung ist und Volitionen zweiter Stufe zur Person gehören, dann schreiben wir demjenigen, mit dem wir personal interagieren wollen, Wünsche und Volitionen zweiter Stufe zu. Warum sollten wir aber jemandem, von dem wir glauben, mit ihm nur funktional interagieren zu können, zwar Wünsche zweiter Stufe aber keine Volitionen zuschreiben? Oder um es anders zu sagen: Frankfurt meint, der Unterschied zwischen Tier und Mensch liege in der Fähigkeit, Wünsche zweiter Stufe auszubilden, und der Unterschied zwischen Wanton und Person in der Fähigkeit, Volitionen zweiter Stufe zu haben. Wie unterscheiden wir aber zwischen Wanton und Tier? Mit Frankfurt müßten wir antworten, der Wanton kann Wünsche zweiter Stufe haben, das Tier hingegen nicht. Da wir mit einem Wanton aber nicht anders interagieren können als mit einem Tier und da wir den Objekten, mit denen wir interagieren wollen, aufgrund unserer Einschätzung ihres Status' Fähigkeiten zuschreiben und Wünsche Teil der Zuschreibung sind, haben wir keinen Grund, dem einen Objekt Fähigkeiten zuzuschreiben, die das andere prinzipiell nicht haben kann. Daß wir einen Wanton aufgrund seiner biologischen Nähe zu uns anders behandeln als ein Tier, ist verständlich, liegt aber daran, daß wir ihn aufgrund seines Aussehens stärker personalisieren als das Tier. Es liegt nicht daran, daß wir ihm Wünsche zweiter Stufe zugestehen und dem Tier nicht. Dafür benötigten wir ein Erkennungskriterium, das wir nicht haben, wenn Wanton und Tier sich in ihrem Verhalten nicht unterscheiden. Das biologische Kriterium ist irrelevant. Ich bin somit, kurz gesagt, der Auffassung, daß der Wanton entweder als eine Person in einem ganz flachen Sinne oder als ein Tier gesehen werden muß, aber nicht als etwas Dazwischenliegendes. Dennoch stimme ich im Wesentlichen mit Frankfurt überein: Eine Person zeichnet sich aus durch die Fähigkeit zur reflektierenden Selbstbewertung. Ich bezweifle lediglich, daß es für uns - außer als Konstruktion - eine Figur geben kann, die zwar ein Selbstbild und damit ein Selbst hat, also ein Subjekt ist, die aber zu keinem Zeitpunkt in keiner Form sich gegenüber eine wertende Haltung einnimmt. Wir haben kein Erkennungskriterium dafür, so daß eine derartige Zuschreibung völlig willkürlich wäre. Deswegen schlage ich vor, lediglich zwischen Tier und Mensch, im Sinne von Nicht-Person und Person, zu unterscheiden, und den Wanton, der nun jemand ist, der ein Selbst hat, aber ihm nur selten und dann ohne große Emotionen wertend gegenüber- tritt, als die Person mit der geringsten annehmbaren Tiefe zu sehen. Wir können mit ihr personal interagieren, dies aber nur in einem sehr engen Rahmen. Um diese Überlegungen zusammenzufassen: Eine Person ist ein subjektsprachlicher Gegenstand. Jedes Objekt, das subjektsprachfähig ist, ist durch die Gemeinschaft, die mit ihm subjektsprachlich interagiert, ein Subjekt und damit gleichzeitig eine Person. Eine Person kann flacher oder tiefer sein. Die flachest denkbare Person, sozusagen die Untergrenze des Personseins, ist der Wanton. Ich habe bisher die Begriffe "funktional" und "personal" benutzt, um die Art der Interaktion auf dem Sprachniveau von Tieren zu unterscheiden von der Interaktion auf dem Sprachniveau von Personen, und habe angenommen, daß Nicht-Personen, z.B. Tiere, nur funktional, Personen hingegen auch nicht-funktional interagieren können. Da eine Person aber ein subjektsprachliches Gebilde ist, das nur durch die Interaktion mit anderen Personen existiert, muß der Unterschied etwas anders gefaßt werden: Nicht-Personen können nur funktional handeln und Personen können nur personal handeln. Wenn ein Objekt subjektsprachlich interagiert, wenn also eine Person mit einer Person interagiert, hat diese Interaktion immer einen personalen Aspekt. Personen können in diesem Sinne nicht nicht-personal interagieren. Wenn sie es dennoch tun, tun sie es nicht als Personen. Die Interaktion Mensch-Tier ist entweder personal, wenn der Mensch als Person das Tier personalisiert, oder funktional, wenn der Mensch das Tier nicht personalisiert, somit aber auch selbst in dieser Beziehung nicht Person ist. Genauso ist ein Mensch, der mit einem anderen Menschen funktional interagiert, keine Person. Dies im Hinterkopf möchte ich mich im folgenden hauptsächlich auf die Interaktion zwischen Personen konzentrieren und dabei die Begriffe "funktionale Interaktion" und "personale Interaktion" neu definieren, um in der Interaktion zwischen Personen unterscheiden zu können zwischen einer Interaktion, in der die andere Person hauptsächlich in ihrer Funktion wahrgenommen wird, und einer Interaktion, in der sie hauptsächlich als Person wahrgenommen wird. Außerdem werde ich, wenn ich im weiteren von Sprache rede, immer Subjektsprache, also unsere menschliche Sprache, meinen, es sei denn, es ist an der entsprechenden Stelle anders vermerkt. Um die Verwirrung möglichst gering zu halten, werde ich die Begriffe "funktional” und “personal” kursiv schreiben, wenn ich ausdrücken will, daß es sich um die neue Verwendungsweise handelt. Wenn ich Sprache und Sprechen nur noch in diesem Sinn verwende, kann ich die Begriffe “Handeln”, “Sprechen”, “Interaktion” und “Kommunikation” synonym verwenden, wie ich im nächsten Kapitel zeigen werde.

IV.1.3 Handeln und Sprechen, Interaktion und Kommunikation

Mit Wittgenstein haben wir festgestellt, daß Sprechen nur in einem sozialen Kontext bedeutungsvolles Sprechen ist, daß es also für ein Sprechen immer Mitsprechende geben muß. Deswegen kann ich statt “Sprechen” im weiteren auch “Kommunikation” sagen – das Miteinandersprechen von Sprechenden. Darüber hinaus werde ich die Begriffe “Handlung” bzw. “Handeln” und “Interaktion” bzw. “Interagieren” synonym verwenden. Wenn ich nämlich eine Bewegung als Handlung einer Person beschreibe, dann lege ich der Handlung eine Absicht zugrunde – z.B. “Fritz ohrfeigt Franz”. Eine solche Handlung ist immer auch eine Interaktion – man macht etwas mit sich und mit dem anderen (als Personen). Und eine Interaktion von Sprechenden ist immer auch eine Kommunikation: Der schlagende Fritz teilt Franz durch den Schlag etwas mit. Oder: Nur wenn er ihm dadurch etwas mitteilt, ist es die Handlung einer Person (und die Interaktion zweier Personen). Aus diesem Grund werde ich “Interaktion” und “Kommunikation” ebenfalls synonym verwenden. Daraus ergibt sich, daß ich auch “Sprechen” und “Handeln” und somit alle vier Begriffe synonym verwenden kann.
Das, was ich bisher unter personaler Interaktion verstanden habe, teilt sich nun auf in funktionale und personale Interaktion. Die neue Verwendungsweise der Begriffe “funktional” und “personal” werde ich kurz erläutern.

-> IV.2

Notes:

  1. Um exakt zu formulieren, müßte man wie Lacan zwischen “moi” und “je”, zwischen dem “Leerstellen-Ich” und dem “Selbst-Ich” unterscheiden. Ich glaube aber, daß das den Sachverhalt nicht klarer macht, denn entweder versteht man, daß “ich erzähle eine Geschichte über mich” als eine metaphorische Sprechweise begriffen werden muß, oder man versteht es nicht. Dann hilft aber auch keine Unterscheidung zwischen “moi” und “je”.
  2. Was ich genau mit diesem Terminus meine, wird weiter unten geklärt.
  3. Der Unterschied zwischen spaßhaft und ernsthaft, zwischen tun-als-ob und tun, zwischen investieren und nichts riskieren läßt sich vielleicht an folgendem Beispiel klarer aufzeigen: Um mit einem Taxi befördert werden zu können, muß ich etwas riskieren. Ich gebe mein Leben in die Hände eines Fremden. Ohne eine derartige Investition von Vertrauen in den Fahrer, daß er wirklich Autofahren kann und daß er kein Lustmörder ist etc., könnte ich mich nicht auf diese Weise von A nach B befördern lassen. Daß ich nicht nur spaßhaft sage, daß ich ihm vertraue, sondern daß ich es ernst meine, erkennt man daran, daß ich das Risiko eingehe. So ist es auch im Falle Nathanaels. Er sagt nicht nur, daß er Olimpia für eine Person hält, sondern er handelt auch danach.
  4. Frankfurt (2001h) S. 66.
  5. Deswegen halte ich auch das berühmte “Zombie-Rätsel” für wenig rätselhaft, das Holm Tetens so zusammenfaßt: “Zwei Personen könnten sich exakt auf die gleiche Weise verhalten, aber während die eine Person dabei das erlebt, was jeder von uns gewöhnlich auch erleben würde, erlebt die andere Person nichts dergleichen.” Tetens (1994) S. 67. Ist das möglich? Meine Antwort lautet, daß es eine sprachliche Unmöglichkeit ist. Es wird bei dem Gedankenexperiment so getan, als gebe es eine Wahrheit, die außerhalb von Sprache existiert, daß wir zwar in einer bestimmten Weise reden und dafür etwas riskieren, daß das aber nichts damit zu tun hat – höchstens kontingenterweise -, wie die Welt wirklich ist. Doch außerhalb der Sprache gibt es keine Wahrheit. Deswegen scheint mir, daß das Rätsel unsinnig ist.